Wie lässt sich Verwaltung modernisieren?

Ein Interview aus unserem Newsletter mit Benedikt Göller war als Fellow sechs Monate im Auswärtigen Amt

„Die Verwaltung soll agiler und digitaler werden.“

Dieser unscheinbare Satz steht am Anfang des Sondierungspapiers der Koalitionsparteien. Jede*r, der an dem Brett digitaler, agiler Verwaltung bereits gebohrt hat, weiß um die Herausforderungen dahinter. Work4Germany bringt jedes Jahr innovative Köpfe und digitales Know mittels einem Fellowship-Programm in die Bundesministerien. Grundidee der bundeseigenen Gesellschaft ist es, Fellows mit Hintergründen aus agilen und innovativen Methoden in die Bundesbehörden zu bringen, so dass die Verwaltungs-Mitarbeiter*innen davon profitieren können und Digitalisierungsvorhaben voran zu treiben.

Benedikt Göller war dieses Jahr einer von den ihnen und war sechs Monate als Fellow im Auswärtigen Amt. Wir durften Benedikt mit unseren Fragen löchern und freuen uns dieses Interview hier teilen zu dürfen.

Benedikt, du warst dieses Jahr sechs Monate Fellow im Auswärtigen Amt. Was hast du da gemacht?

Ich durfte von Mai bis Oktober 2021 gemeinsam mit Referat 120 (Grundsatz Digitalisierung) eine Digitalisierungsstrategie für das Auswärtige Amt (AA) erarbeiten. Ziel des Vorhabens war es, einen strategischen Rahmen dafür zu schaffen, wie das AA als Organisation in den kommenden Jahren auf die Chancen und Herausforderungen der Digitalisierung reagieren kann.

Was heißt das konkret?

Als Innovations-Fellow des Work4Germany-Programms war es mir ein Anliegen, diese große Aufgabe „neu zu denken“. Der klassische Strategieprozess in Ministerien läuft oftmals so ab, dass ein Referat ein Strategiedokument ausformuliert und es anschließend von den betroffenen Stakeholdern „billigen“ lässt.

Unser Ansatz war es, nicht nur ein Strategiedokument zu erstellen, sondern einen Beteiligungsprozess im gesamten Haus zum Thema Digitalisierung anzustoßen. Wir haben damit begonnen, in interaktiven Workshops mit den Führungskräften im AA ein klares Zielbild für die Strategie zu entwickeln.

Uns war dabei wichtig, nicht nur die inhaltlichen Ziele zu definieren, sondern die Ziele so zu verankern, dass sie auch als Steuerungsinstrument für die Weiterentwicklung der Strategie dienen können.

Wie habt ihr das gemacht?

Um diese Kontinuität sicherzustellen, haben wir uns dafür entschieden, die Objectives und Key-Results-Methode (OKR) zu nutzen. Objectives haben wir in Etappenziele und Key Results in Kernergebnisse übersetzt. Wir haben also damit begonnen, zu jedem der 17 strategischen Ziele einen Workshop mit den beteiligten Referaten und Arbeitsgruppen durchzuführen.

Uns war es wichtig, dass alle Beschäftigten im Haus sich in den Prozess einbringen konnten. Durchschnittlich kamen Personen aus 4-5 verschiedenen Arbeitseinheiten zusammen, um dieEtappenziele festzulegen und Messgrößen festzulegen.

Warum hast du dich als Fellow beworben? Was war deine Motivation?

Meine Motivation an dem Fellowship teilzunehmen war es, meine Kenntnisse und Fähigkeiten im Bereich agiles Arbeiten, Design Thinking und Digitalisierung einem Ministerium zur Verfügung zu stellen.

Für den Erfolg des Projekts und auch für meine persönliche Weiterentwicklung war neben dem Team bei Referat 120 der Austausch mit den anderen 20 Fellows, die Projekte in anderen Bundesministerien bearbeiteten, extrem wichtig. Durch diesen Austausch kamen zahlreiche Ideen auf, die im Projekt direkt genutzt werden konnten (bspw. der Einsatz von OKRs).

Auch die Unterstützung durch das work4germany-Programmteam war großartig. Wir hatten eine super organisierte Onboarding-Woche und sind als Fellows hierdurch in dem halben Jahr wirklich zu einer Gemeinschaft geworden. Aus unserem Offsite-Event, den wöchentliche Reflektions-Session, den Brown-Bag-Meetings mit Themenschwerpunkten, dem Weiterbildungsprogramm oder den „Fellow-Fridays zu Methoden und Werkzeugen“ konnte ich für mich persönlich extrem viel mitnehmen. Auch die Abschlussveranstaltung mit Helge Braun war ein Highlight.

„Die Verwaltung ist das Rückgrat unserer Demokratie. Wir leben in einem diversen Land in einem diversen Europa. Das muss sich auch in den Amtsstuben widerspiegeln.“

Das Fellowship versucht neue Impulse in die Verwaltung einzubringen. Was verstehst du unter einer modernen Verwaltung?
Moderne Verwaltung ist für mich menschenzentrierte Verwaltung. D.h. eine Verwaltung, die die Bedürfnisse der Bürgerinnen und Bürger ernst nimmt und darauf eingeht.

Ein gutes Beispiel, bei dem es derzeit noch viel Luft nach oben gibt, sind aus meiner Sicht Briefe von Behörden. Diese sind leider oftmals so formuliert, dass einem als Empfänger:in die Kernbotschaft, selbst bei mehrfachem Lesen, nicht klar wird. Natürlich muss Behördenpost rechtssicher sein. Es ist aber möglich, die wichtigsten Aussagen ganz am Anfang eines Textes so zu formulieren, dass es jede:r versteht.

Unter menschenzentrierter Verwaltung verstehe ich aber auch, dass Behörden gute Arbeitgeber:innen sind, die kontinuierlich versuchen, die Zufriedenheit ihrer Beschäftigten zu erhöhen. Behörden müssen sich dafür einsetzen, Menschen mit unterschiedlichen Hintergründen für die wichtige und sinnstiftende Arbeit für den Staat zu gewinnen. Nur so bekommt der Staat die Kompetenz, um mit zukünftigen Herausforderungen umzugehen.

Problemlösung funktioniert in diversen Teams einfach besser. Wenn alle gleich ausgebildet sind und aus ähnlichen sozialen Hintergründen kommen, werden kaum kreative Lösungen entstehen. Die Verwaltung ist das Rückgrat unserer Demokratie. Wir leben in einem diversen Land in einem diversen Europa. Das muss sich auch in den Amtsstuben widerspiegeln. Wir müssen auch in Abgrenzung zu autokratischen Staaten zeigen, dass unsere Verwaltung eben nicht dazu dient, die Interessen einiger weniger durchzusetzen, sondern eine
integrative Kraft in der Gesellschaft ist, die allen die gleichen Rechte und Möglichkeiten gibt.

„Auch deutsche Beamte/Beamtinnen machen Fehler – wie alle Menschen. Wichtig ist aus Fehlern zu lernen. Das muss endlich verstanden werden.“

Was waren aus deiner Sicht die großen dicken Bretter mit Blick auf eine moderne Verwaltung?

Die dicksten Bretter, die mir bisher im Fellowship und auch meiner Zeit in anderen Verwaltungen aufgefallen sind, sind der fehlende Mut, Dinge auszuprobieren und die große Angst, Fehler zu machen.

Es fehlt oftmals das umfassende Verständnis für Risiken – dass nämlich nichts zu tun oder das minimal Notwendige zu tun,oftmals wesentlich riskanter ist, als ein scheinbar „mutiges“ Projekt anzugehen. Wenn wir es schaffen, auch in der Verwaltung eine Lernkultur zu etablieren, werden sich viele große Baustellen schnell lösen (bspw. die Digitalisierung der Verwaltung).

Auch deutsche Beamte/Beamtinnen machen Fehler – wie alle Menschen. Wichtig ist aus Fehlern zu lernen. Das muss endlich verstanden werden. Außerdem scheint es in vielen Behörden nicht gängige Praxis zu sein, zielorientiert zu arbeiten. D.h. sich bewusst zu überlegen, was machen wir und wie viel Aufwand macht uns das? Das führt zu einer Reihe von Problemen, beispielsweise, dass unzählige Themen parallel bearbeitet werden, aber für keines ausreichend Kapazität der Beschäftigten zur Verfügung steht. Wenn man es schafft, klare Ziele zu formulieren (und das geht auf jeder hierarchischen Ebene, bis zur Einzelperson) fällt es bei Entscheidungen für oder gegen Projekte und/oder Aufgaben leicht zu sagen, ob man diese (jetzt) macht oder nicht.

Man kann immer prüfen, ob das jeweilige Projekt und/oder die jeweilige Aufgabe zum Ziel beiträgt oder nicht. Nicht zielorientiert zu arbeiten, führt auch dazu, dass die Beschäftigten ggf. soweit vom Ergebnis ihrer Arbeit entkoppelt sind, dass ihnen der Sinn oder Purpose in ihrer Arbeit fehlt.

Was ist für dich das wichtigste Learning?

Wir brauchen einen grundlegenden Kulturwandel. Wenn man auf die „Verwaltungsdigitalisierungs-Bubble“ hört, gibt es unzählige Ideen und Projekte, die schon gut laufen. Doch diese Bubble ist sehr klein ist. Veränderung muss von den politischen Entscheidern und Führungskräften in der Verwaltung vorgelebt werden.

Nur zu sagen, dass ein „agiles Projekt“ angestoßen wurde oder ein „Innovation-Hub“ aufgebaut wurde, reicht nicht aus. Wenn ich die Debatten zum Digitalisierungsministerium verfolge, bin ich etwas besorgt. Dieses
könnte als Feigenblatt dafür genutzt werden, dass sich „jetzt andere“ um die Digitalisierung kümmern. Wir brauchen aber einen grundlegenden Kulturwandel in allen Häusern. Zahlreiche Gesetze und Verordnungen müssen angepasst werden und die Einstellungsmöglichkeiten reformiert werden.

Wie geht es jetzt für dich weiter? Möchtest du in dem Bereich Modernisierung der Verwaltung weiterhin aktiv bleiben?

Die Modernisierung der Verwaltung ist mein Herzensthema. Hierfür möchte und werde ich mich auch in Zukunft einsetzen, beispielsweise über die work4germany-Community, das N3GZ-Netzwerk und Staat-Up. Die Umsetzung von Veränderung gelingt aber nur aus der der Verwaltung heraus. Deshalb der Aufruf an die Behördenchef:innen und Personalabteilungen: Passt eure Stellenausschreibungen und Einstellungsprozesse an. Auch mit dem derzeitigen gesetzlichen Rahmen ist schon mehr möglich, als viele sich derzeit trauen. Nur so werdet ihr die Leute finden, die ihr in Zukunft braucht! Und der Aufruf an alle, die gesellschaftlich etwas verändern möchten: kommt in die Verwaltung, es gibt viel zu tun!

Wir danken dir sehr für die Einblicke und hoffen, dass Leute wie du bald viele Behörden bereichern können.

 

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